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nnika hatte hart für ihren Job gearbeitet. Als sie ihn endlich ergattert hatte, wollte sie ihn unter keinen Umständen verlieren. Sie dachte an Sätze ihrer Oma wie „Du musst als Frau besser sein als andere, um dich durchzusetzen“ oder „Nur den Fleißigen gehört die Welt“. Die Aussagen hatten sich tief in ihrem Kopf eingebrannt. Umso unfairer fand die Mittdreißigerin den Kommentar ihres Chefs an einem Nachmittag:  "Sind Sie mit der Aufgabe immer noch nicht fertig? Egal, dann geht es auch so.“ Annika war sprachlos. Sie wusste nichts zu antworten. Stattdessen schluckte sie ihren anfänglichen Frust hinunter, suchte die Waschräume auf und weinte still vor sich hin. Dann fasste sie sich wieder, machte ein paar Überstunden – denn es gab ja etwas gutzumachen für ihr langsames Arbeiten – und fand sich um 21 Uhr auf dem heimischen Sofa wieder. Schlafen konnte sie jedoch nicht. Sie fragte sich, was war heute passiert?

Schuld sind immer die anderen

In Annikas Kopf kreisten die Gedanken. Sie fühlte sich erschöpft, überfordert und müde, aber kein Schlaf wollte sich einstellen. Dass sie längst die ersten Anzeichen eines Burnouts hatte, wusste sie nicht.

Krampfhaft grübelte die junge Frau darüber nach, was im Job schiefläuft und wer an der Misere schuld wäre. Hier ein paar ihrer Gedanken:

  • Wieso darf mein Chef so unfreundlich zu mir sein?
  • Warum sieht mein Chef meine vielen Überstunden nicht?
  • Weshalb provoziert die Arbeitskultur im Unternehmen Stress?
  • Wieso investiert das Unternehmen nicht in eine bessere Hard- und Software?
  • Warum macht mir auch noch mein Partner Stress, wenn ich bereits bei der Arbeit überlastet bin?
  • Wieso nimmt mir privat niemand etwas ab?
  • Weshalb hat meine Oma mich zu Perfektionismus angetrieben?
  • Warum sagen mir Omi und die Gesellschaft, ich müsste als Frau mehr leisten?
  • Warum war es meinen Eltern so wichtig, dass ich anderen stets gefallen sollte?

Annika war mit ihren Schuldzuweisungen nicht sparsam. Sie sah überall Schuldige und versank im wenig produktives Selbstmitleid. Traurig rollte sie sich im Bett ein und weinte erneut. Dann beschloss sie, sich etwas Gutes zu tun und aß einen Becher mit 300 ml Eis. Danach fühlte sie sich zuerst besser, dann aber zusehends schlechter. Sie wollte doch abnehmen! Ärgerlich über die mangelnde Selbstdisziplin schaute sie auf die Uhr. In sechs Stunden klingelt der Wecker. Hastig schluckte sie eine Schlaftablette und legte sich für eine unruhige Nachtruhe erneut ins Bett.

Allein, unverstanden und verlassen: Gefühle eines Burnout-Betroffenen

Annika fühlte sich im Job oft unverstanden. Das Gefühl übertrug sie von der Arbeit auf ihr Privatleben, den dort bahnten sich wegen der etlichen Überstunden und ihrer dauerhaften Müdigkeit sowie Gereiztheit Probleme an. Häufig betrachtete sie sich im Spiegel und sah dann eine einsame, traurige Frau, die eigentlich in den besten Jahren war. Das erzeugte noch mehr Druck. Überall spürte Annika Druck, der immer stärker wurde. Sie sehnte sich nach Ruhe, aber hatte Angst, sich Ruhe zu nehmen. Irgendwann zog der Körper die Reißleine.

Wenn beim Burnout der Zusammenbruch als Erlösung empfunden wird

An einem schönen Sommertag brach Annika auf dem Parkplatz ihres Arbeitsplatzes zusammen. Nichts ging mehr. Eine Kollegin fand sie zusammengekauert vor ihrem Wagen sitzend. Ihre Stirn war heiß und der Puls hoch. Reden konnte Annika kaum noch. Stattdessen stammelte sie: „Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich muss krank sein. Es wird schon wieder. Gib mir ein paar Minuten.“ Die Kollegin hörte nicht auf sie, sondern rief einen Krankenwagen.

Nach einer gründlichen Untersuchung im Krankenhaus teilte ihr der Arzt mit: „Sie sind organisch okay. Ihr Fieber kommt von einer Entzündung im Körper, die Ausdruck ihres seelischen Stresses ist. Das dürfte auch die Erschöpfungszustände erklären. Wir bekämpfen die Entzündung mit Medikamenten, aber gegen das Burnout helfen sie nicht.“

Zum ersten Mal realisierte Annika, dass sie ein Burnout hatte. Es war wie eine Befreiung, denn es gab einen Namen für ihr Leiden. Im Nachhinein empfand sie den Zusammenbruch als Erlösung, denn endlich musste sie entspannen. Sie erlaubte sich die Pause. Ein Arzt hatte ihr dazu geraten, was ihr Gewissen beruhigte. Nach einer zweiwöchigen Erholungsphase begriff Annika, dass es keinen einfachen Weg zurück ins Büro gab. Es musste sich etwas ändern, um das Burnout zu bekämpfen. Im Zuge dessen kam eine Frage wieder auf: Wer ist schuld an meinem Burnout?

Ein in Teilen selbst konstruierter Teufelskreis

Bei einem Burnout merken die Betroffenen anfangs oft nicht, dass sie inmitten einer Phase der überwältigenden Erschöpfung sind. Sie haben zu selten und nicht früh genug nein gesagt. Stattdessen haben sie sich mit Arbeit überfrachtet. Der Grund für die Überlastung ist nicht primär ein fordernder Chef, sondern die stete Suche nach Anerkennung. Burnout-Betroffene definieren sich vor allem durch Leistung und Ergebnisse. Oft sind sie in der Rolle des „Overperfomers“ geradezu festgefahren. Sind sie ihrer Ansicht nach unzureichend, müssen sie eben einen Zahn zulegen. Es muss weiter gehen – nur noch schnell und noch höher.

Dabei gerät unweigerlich die viel zitierte Work-Life-Balance durcheinander. Alles muss perfekt sein und perfekt laufen, was für Stress sorgt. Freunde, Familie, Mitarbeiter oder Kollegen kommen dann zu kurz, was Stress-fördernde Konflikte heraufbeschwört. Diese wollen Burnout-Betroffene jedoch in der Regel vermeiden, weswegen sie sich immer mehr anstrengen und sich immer mehr aufbürden. Sie finden sich in einem Teufelskreis wieder, aus dem sie keinen Ausweg sehen. Warum? Ihr Perfektionismus, ihr mangelndes Vermögen zum Neinsagen, ihr Wunsch nach Anerkennung und ihr Pflichtbewusstsein stehen ihnen entgegen.

Grund fürs Burnout: konfliktreiche Beziehungen und der Verlust der Selbstwahrnehmung

Einige Experten gehen fest davon aus, dass es ohne Konflikt kein Burnout gibt. So hätten Burnout-Betroffene die Beziehung zu sich selbst verloren oder/und sie befinden sich in konfliktreichen Beziehungen. Auch schwierige Lebenssituationen wie der Tod des Partners oder eine schwere Krankheit können ein Burnout auslösen.

Doch wie sind die konfliktreichen Beziehungen entstanden? Wie kam es zum Verlust der Selbstwahrnehmung? Berufstätige machen es sich zu leicht, die Schuld beim Chef oder in einer schlechten Wirtschaftslage zu suchen. Sie geben damit zu viel Verantwortung ab, obgleich Burnout-Betroffene doch eigentlich gern Verantwortung übernehmen. Und genau das musste Annika lernen, um sich vom Burnout zu befreien.

Die richtige Balance finden

Bei Burnout-Betroffenen ist das Leben aus dem Gleichgewicht geraten. Um die Balance zu finden, reicht es nicht aus, sich ein paar Wochen zu entspannen. Stattdessen müssen die Stressauslöser gefunden werden, die in großen Teilen in einem selbst liegen. Hierbei ist es unerlässlich, das eigene Leben zu hinterfragen:

  • Weshalb kann ich so schlecht Neinsagen?
  • Warum überfrachte ich mich mit Arbeit?
  • Warum reiße ich jede Arbeit an mich?
  • Weshalb ist mir die Anerkennung anderer so wichtig?
  • Wie kann ich meine Dialogfähigkeit mit dem Chef, den Mitarbeitern, dem Partner und den Mitmenschen im Allgemeinen verbessern?

Wer sich Fragen wie diese stellt, nähert sich seinen Gefühlen, Empfindungen und Charaktereigenschaften an. Zu erkennen, dass einige persönliche Eigenschaften Burnout-fördernd sind, ist ein wichtiger Schritt. Ein Beispiel: Du glaubst, dein Burnout liegt an deinem fordernden, ruppigen Chef. Wieso haben dann nicht alle Mitarbeiter der Firma ein Burnout? Sicherlich kann dein Chef ein Burnout-Auslöser sein, aber die eigentlichen Gründe dahinter liegen in dir. Vielleicht lässt du dich von großen, lauten Männern leicht einschüchtern. Vielleicht kannst du zu Vorgesetzten generell nie Nein sagen. Vielleicht willst du krampfhaft Bestleistungen erbringen. Versteh, welche Teile deiner Persönlichkeit das Burnout bewirkten. Löst du dich von ihnen, löst sich auch das Burnout-Problem, denn künftig wirst du mit Stress anders umgehen und auf Menschen anders zugehen.

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Photo by engin akyurt on Unsplash

Publiziert am
May 7, 2021
 in Kategorie:
Arbeitsplatz

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