ebastian ist 48 Jahre alt. Er war in den letzten Jahren häufig bei seinem Hausarzt. Mal wegen Ohrengeräuschen, dann wegen Schwindel und zuletzt aufgrund von gastrointestinalen Beschwerden. Der Arzt fand nie eine organische Ursache, weswegen er nur Sebastians Symptome behandeln konnte. Sie wurden jedoch nicht besser, sondern der Gesamtzustand des Familienvaters verschlechterte sich zunehmend. Morgens kam er kaum noch aus dem Bett. Eines Tages schaute er aus seinem Bürofenster und beschloss aus einem tiefen Bauchgefühl heraus: „Ich schmeiß alles hin. Ich kann nicht mehr.“ Hier ist Sebastians Erfahrungsbericht.
Die Burnout Symptome kamen schleichend
Lange war mir gar nicht bewusst, dass ich ein Burnout entwickelt hatte. Eine ehrgeiziger und verantwortungsvoller Mensch wie ich möchte daran gar nicht denken. Ich wollte nur gut funktionieren. Doch mit der Zeit merkte ich, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Ich hatte diffuse Beschwerden wie Magenzwicken, Tinnitus und Schwindel, die auftraten und plötzlich wieder verschwanden. Gleichzeitig fühlte ich mich zunehmend müde. Am Wochenende wollte ich eigentlich nur noch schlafen. Normalerweise hatte ich mit den Kindern gern kurze Fahrradtouren zum nächsten Bauern gemacht, um für das Sonntagsessen einzukaufen. Doch dazu konnte ich mich nicht mehr aufraffen. Ich war zu müde.
Meine Frau hielt mir vor, ich hätte eine Midlife-Crisis. Auch ich dachte kurz daran, aber eigentlich wusste ich tief in mir bereits: Du bis vollkommen erschöpft. Dennoch ignorierte ich das Gefühl und machte weiter. Bei der Arbeit schlichen sich aufgrund meiner fehlenden Konzentration Fehler ein. Zudem gingen mir Routinetätigkeiten langsamer von der Hand. Das stresste mich zusätzlich. Auf dem Weg zu einem Kunden übersah ich eine rote Ampel. Wie konnte mir das passieren? Mir wurde der Führerschein für zwei Monate entzogen. Meinen Job als Vertreter für einen Pharmakonzern konnte ich so nicht mehr erfüllen und war zur Büroarbeit verdammt. Das ärgerte mich.
Die Gleichgültigkeit wuchs an
In meinem Leben schien alles, auf dem Kopf zu stehen. Auf der einen Seite fühlte ich eine brennende Wut in mir und auf der anderen Seite war ich dafür eigentlich viel zu müde dafür, mich aufzuregen. Irgendwann schlug die Überforderung in eine gefährliche Gleichgültigkeit über: Mir war alles egal. Meine Frau bat mich um ein ernstes Gespräch, weil sie sich Sorgen um unseren Ältesten machte. Er fand keinen Job und vertrödelte seine Zeit beim Computerspielen im Hobbykeller. Anstatt auf sie einzugehen, nahm ich sie nicht ernst. Das lag aber nicht daran, dass ich die Situation nicht ernst nahm, sondern dass ich keine Kraft hatte, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Als meine Mutter dann auch noch ins Pflegeheim kam und ich für sie etliche Entscheidungen treffen musste, war das Fass übergelaufen. Ich saß in meinem Büro im fünften Stock, starrte auf die karge Herbstlandschaft und dachte: „Ich schmeiß alles hin.“ Gedacht, getan. Ich packte meine wenigen Sachen und fuhr nach Hause. Nicht einmal eine Nachricht hinterließ ich meinem Chef. Zu Hause legte ich mich ins Bett und starrte an die Decke. Ich fühlte mich leer. Komplett leer.
Alles auf Anfang
Meine Frau bemerkte erst am nächsten Tag, wie schlecht es mir ging. Sie dachte, ich hätte einen Magen-Darm-Infekt. Vorwürfe kann ich ihr keine machen, denn ich schwieg mich aus. Zu groß war meine Scham, ihr die Wahrheit zu sagen: Ich fühlte mich all den Anforderungen in meinem Leben nicht mehr gewachsen. Als meine Frau merkte, dass ich „ausgebrannt sei“, meinte sie, ich solle mich doch ein paar Tage ausruhen. Eine normale Reaktion. Auch ich dachte, dass ein paar Tage reichen würden. Doch aus den Tagen wurden Wochen und diese Wochen reicherte ich am Abend mit ein paar Gläsern Wein an. Ansonsten hätte ich nicht einschlafen können. Aus den Gläsern wurden irgendwann ein bis zwei Flaschen. Der Alkohol half mir, meine Gleichgültigkeit und Schwäche zu überspielen. Es war ein Trugschluss, aber den erkannte ich noch nicht.
Erst als meine Frau mir die Pistole auf die Brust setzte und mich dazu zwang, etwas gegen meinen Zustand zu tun, setzte ich mich in Bewegung.
Meine erste Anlaufstelle war ein Arzt aus der Nachbarschaft. Zufällig traf ich ihn auf der Straße. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und vertraute mich ihm an. Nach einem langen Gespräch auf seiner Terrasse meinte er, ich könnte vielleicht ein Burnout haben.
Raus aus der Burnout-Falle rein in die Entspannung
Zum Glück hatte meine Frau Verständnis für meinen Zustand. Sie ging auf mich ein und wir überlegten gemeinsam, was zu tun sei. Im ersten Schritt hörte ich auf, Alkohol zu trinken. Doch das reichte nicht. Das Grundproblem war ein anderes. Ich ging mit größten Schamgefühlen zu einer Selbsthilfegruppe für Burnout-Betroffene und schilderte dort mein Leid.
Irgendwie dachte ein kleiner Teil von mir noch immer, dass vielleicht hinter allem doch etwas anderes als das Burnout-Syndrom stecken könnte.
Umso erstaunter war ich, als mir die Geschichten der anderen sehr vertraut vorkamen. Auch sie verstanden meine Erschöpfung und gaben wir zu verstehen, dass ich mich nicht zu schämen bräuchte. Gleichzeitig lernte ich, wie wichtig jetzt Entspannung, Ernährung und Sport sind. Unerlässlich war parallel dazu eine Arbeit an meiner Persönlichkeit. Ich musste lernen, nein zu sagen, dem unbändigen Perfektionismus abzuschwören und Verantwortung abzugeben. Das fiel mir am schwersten, aber war für meine Genesung unabdingbar.
Der Einstieg ins Nach-Burnout-Leben war schwierig
Ich denke, Burnout-Betroffenen geht es ein wenig so wie Drogenabhängigen. Wir haben einen bestimmten Grundcharakter, der uns bis zur Erschöpfung getrieben hat. Ja, wir können verhindern, dass das Burnout wieder auftritt, aber wir sind nie vor einem Rückfall gefeit. Unser ganzes Leben lang müssen wir auf uns achten, ohne dabei in Stress zu geraten. Stattdessen müssen wir unsere Gedankenstrukturen verändern, damit sich neue Verhaltensweisen einprägen. Irgendwann laufen sie vielleicht wie von selbst ab. Noch muss ich mir viele Schritte bewusst machen, um nicht wieder ein Burnout auszubilden. Es fällt mir schwer, Kollegen einen Gefallen abzuschlagen, wenn ich weiß, dass ich ansonsten unter großen Stress geraten würde. Doch genau das ist wichtig. Das muss ich tun. Aus diesem Grund habe ich mich auch dazu entschieden, derzeit nur 50 % zu arbeiten. Das geht zwar mit erheblichen finanziellen Einbußen einher, aber meine Familie steht hinter mir. Ich traue mich jetzt, sie um Hilfe zu bitten und zu sagen: Stopp, das wird mir zu viel. Irgendwann kann ich vielleicht wieder mehr arbeiten. Ich weiß es nicht und das ist gut so. Ich lasse alles auf mich zukommen und setze mich nicht mehr unter Druck. Manchmal muss ich mir noch bewusst machen, diesen Druck nicht zuzulassen. Doch das gelingt mir immer besser.
Allen Burnout-Betroffenen möchte ich sagen: Es gibt einen Weg raus aus der Erschöpfung.
Lasst euch helfen, vertraut euch jemanden an. Tut das besser früher als später, denn so haltet ihr die Konsequenzen gering. Seid mutig, Schwäche zu zeigen, ist keine Schande, sondern eine Stärke!
Wichtiger Hinweis: Die hier angebotenen Informationen und Gedankenanstöße dienen lediglich der Orientierung und ersetzen keine qualifizierte, medizinische, heilpraktische oder anderweitige fachliche Beratung.
Weitere Informationen und Quellen zum obigen Thema:
- Dem Burnout Vorbeugen: Nein Sagen Lernen
- Burnout Und Alkohol: Ein Gefährliches Gespann
- Gibt Es Beim Burnout Spätfolgen Oder Langzeitfolgen?
- Burnout: Was Ist Das Eigentlich?
- Burnout Für Dummies: Irgendwann Konnte Markus Nicht Mehr
- Burnout: Was Tun Als Arbeitgeber?
- Burnout: Wer Ist Schuld? Eine Selbstanalyse
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